Wofür stehen wir noch ein?
- Mandy Hindenburg
- 15. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Die diesjährige Mitgliederversammlung von Business and Professional Women Germany in Berlin war für mich nicht nur ein organisatorisches Ereignis, sie war eine Einladung zur Reflexion. Als Wahlleitung durfte ich einen neuen Bundesvorstand mitwählen und damit aktiv an einem Prozess mitwirken, der richtungsweisend für die kommenden Jahre sein wird. Es war ein Wochenende voller Begegnungen, Entscheidungen und innerer Fragen. Und eine davon begleitet mich seither ganz besonders: Was bedeutet es heute noch, Teil eines Netzwerks zu sein? Und was erwarten wir eigentlich von Netzwerken, individuell, gesellschaftlich, politisch?

Die Wahl eines nahezu komplett neuen Vorstands war sinnbildlich für diesen Wandel. Es war kein Bruch mit dem Bestehenden, sondern ein kraftvoller Übergang. Ein Zeichen dafür, dass wir bereit sind, neue Stimmen, neue Haltungen und neue Perspektiven nicht nur zuzulassen, sondern aktiv einzubinden. Ich freue mich sehr über die beiden Frauen an der Spitze. Sie stehen nicht nur für Diversität, sondern auch für Ergänzung, für gegenseitige Wertschätzung und für das, was in vielen Organisationen noch fehlen darf: das bewusste Zusammenspiel von Unterschiedlichkeit. Sie leben keine Anpassung, sondern gestalten aus ihrer eigenen Stärke heraus. Für mich ist das ein starkes Signal, nach innen wie nach außen.
Und doch wurde mir während dieser Versammlung auch schmerzlich bewusst, wie sehr sich die Rahmenbedingungen verändert haben, unter denen Netzwerke heute bestehen. Die Gespräche mit Frauen aus ganz Deutschland offenbarten eine deutliche Verschiebung in der Wahrnehmung von Mitgliedschaft, Ehrenamt und kollektiver Verantwortung. Diese Entwicklung ist nicht nur in unserem Verband spürbar. Auch andere Institutionen, ob Architektenkammer, Ärzteverbände oder Branchenvereine, ringen mit denselben Themen: Mitgliederschwund, Überalterung, rückläufige Beteiligung und ein wachsendes Unverständnis für das Prinzip der verbindlichen Teilhabe.
Immer häufiger höre ich: „Was bringt mir das?“ oder „Ich möchte flexibel bleiben und mich nicht festlegen.“ Es scheint, als hätten wir verlernt, dass Netzwerke keine Dienstleistungen sind, die man bucht und nach Belieben konsumiert. Sie leben von der Beteiligung, vom Engagement, vom Vertrauen. Sie sind Resonanzräume, keine Selbstbedienungsläden. Wer Teil eines Netzwerks ist, bringt nicht nur sich selbst ein, sondern trägt zugleich Verantwortung für die Struktur, in der er sich bewegt. Und genau diese Haltung droht verloren zu gehen.
Ich frage mich ernsthaft: Haben Werte wie Zusammenhalt, gegenseitige Unterstützung und Verantwortung für ein größeres Ganzes an Bedeutung verloren? Ist uns wirklich gleichgültig geworden, wie viele Türen vor uns geöffnet wurden, von Frauen, die sich über Jahrzehnte hinweg engagiert, eingesetzt und geopfert haben, damit wir heute dort stehen können, wo wir stehen? Ich denke an die vielen Ehrenamtlichen im Deutschen Frauenrat, bei BPW International, auf europäischer und internationaler Ebene, Frauen, die unermüdlich daran arbeiten, unsere Interessen zu vertreten, politische Sichtbarkeit zu schaffen und strukturelle Hürden abzubauen. Ist das nichts mehr wert?
Ich habe in meinem Buch "Die Macht der Kontakte" viel darüber geschrieben, wie wichtig es ist, eine individuelle Netzwerkstrategie zu entwickeln, die nicht nur auf kurzfristigen Nutzen, sondern auf nachhaltige Beziehungen, echte Begegnung und langfristige Positionierung ausgerichtet ist. Wer netzwerkt, nur um etwas zu bekommen, wird auf Dauer nichts gewinnen. Es geht um das Gleichgewicht von Geben und Nehmen. Um den Mut, sich einzubringen, auch wenn es keine sofortige Gegenleistung gibt. Um das Vertrauen, dass aus Verbindung Wachstum entsteht, persönlich, beruflich und gesellschaftlich.
Gerade BPW bietet zahlreiche Räume, in denen dieses Wachstum möglich ist. Mentoringprogramme, Leadership-Reihen, internationale Netzwerke, überregionale Veranstaltungen, Austauschformate, Gründungsimpulse und nicht zuletzt geschützte Räume, in denen man sich ausprobieren, lernen, Fehler machen und wachsen darf. Wer eine Rede vor Publikum halten möchte, findet hier einen Ort, an dem es erlaubt ist, nervös zu sein. Wer zum ersten Mal eine Leitungsrolle ausprobieren möchte, erhält hier Unterstützung, statt Druck. Wer sich orientieren will, findet hier Feedback, ehrlich, respektvoll, konstruktiv. Und all das zu einem Beitrag, der in keinem Verhältnis steht zu dem, was man an Erfahrungen, Perspektiven und Verbindungen erhält.
Trotzdem spüren wir die Unsicherheit. Vor allem in kleineren Clubs, in ländlicheren Regionen. Die Diskussion um eine Beitragserhöhung hat das noch einmal deutlich gemacht. Es ist eine wirtschaftlich notwendige Entscheidung, weil steigende Kosten und rückläufige Mitgliedszahlen nicht an uns vorbeigehen. Doch die Sorge ist groß: Werden Frauen gehen, wenn wir mehr fordern? Oder schaffen wir es, sichtbar zu machen, dass wir nicht nur Geld brauchen, sondern ein gemeinsames Verständnis davon, wofür wir stehen?
Ich wünsche mir, dass wir diese Diskussion nicht nur über Beiträge führen. Sondern über Haltung. Über die Bereitschaft, sich in etwas Größeres einzubringen. Über das Verständnis, dass Netzwerke nur dann funktionieren, wenn wir sie gemeinsam tragen. Es geht nicht darum, sich selbst zurückzunehmen. Es geht darum, gemeinsam stärker zu werden.
Netzwerken ist kein Tool zur Selbstvermarktung. Es ist eine Lebenshaltung. Eine Entscheidung für Verbindung, für Perspektivwechsel, für kollektives Lernen. Wer das begreift, wird erleben, wie viel Kraft, Mut und Klarheit aus einem starken Netzwerk erwachsen kann. Wer sich hingegen nur nimmt, wird irgendwann in einem leeren Raum stehen.
Für mich war diese Versammlung ein Moment der Bestärkung. Ich habe gespürt, dass Veränderung möglich ist, wenn wir bereit sind, sie gemeinsam zu gestalten. Dass Strukturen lebendig bleiben, wenn wir sie immer wieder mit neuen Inhalten füllen. Und dass Netzwerke kein Auslaufmodell sind, sondern ein Modell der Zukunft, wenn wir sie mit Leben füllen.
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