Mein Einstieg in die Kommunalpolitik
- Mandy Hindenburg

- vor 6 Stunden
- 5 Min. Lesezeit
Warum dieses Jahr so intensiv war und was ich daraus mitnehme

Ein intensives Jahr zwischen Lernen, Verantwortung und neuen Realitäten
Wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke, dann fühlt es sich nicht wie ein klassischer Jahresrückblick an, sondern wie eine sehr dichte Lernphase. Anfang des Jahres hatte ich nicht vor, mich politisch zu engagieren, zumindest nicht in der formalen Kommunalpolitik. Ich war und bin gesellschaftlich aktiv, arbeite seit Jahren an nachhaltigen Konzepten, an Bildungsprojekten, an konkreten Ideen für Essen. Politik als Ratsarbeit, als institutionelles System, war jedoch kein geplanter Schritt. Vier Monate später sah die Realität anders aus. Ich habe als Spitzenkandidatin von Volt Essen ein Team angeführt, Wahlkampf erlebt und Verantwortung übernommen, die deutlich über ein punktuelles Engagement hinausgeht.
Diese Entwicklung kam schnell und sie kam intensiv. Sie brachte neue Aufgaben, neue Rollen und neue Anforderungen mit sich. Vor allem aber bedeutete sie, mich auf ein System einzulassen, das eigene Regeln hat und nicht automatisch so funktioniert, wie man es aus der freien Projektarbeit kennt. Kommunalpolitik ist kein Raum für spontane Umsetzung. Sie ist geprägt von Strukturen, Zuständigkeiten, formalen Abläufen und lang gewachsenen Routinen. Sich darin zurechtzufinden braucht Zeit, Geduld und die Bereitschaft, nicht alles sofort einordnen zu können.
Ankommen im Rat und die Realität politischer Strukturen
Anfang November fand meine erste Ratssitzung statt. Ich wurde einberufen, saß im Ratssaal und habe sehr viele Eindrücke gesammelt. Die Atmosphäre, die Sprache, die Abläufe, das Tempo. Es war überwältigend, aber nicht im euphorischen Sinne, sondern im Sinne einer hohen Dichte an Informationen und Eindrücken, die erst einmal verarbeitet werden mussten. Diese erste Sitzung hat mir sehr deutlich gemacht, dass Ratsarbeit nicht nur aus Sachthemen besteht, sondern auch aus Dynamiken, Machtverhältnissen und unausgesprochenen Regeln, die man erst mit der Zeit erkennt.
Schon in dieser ersten Sitzung sind bei mir viele Fragen entstanden. Wie entstehen hier Entscheidungen tatsächlich? Wie transparent sind Prozesse für die Bürgerinnen und Bürger? Und wie gut gelingt es, politische Entscheidungen so zu kommunizieren, dass sie außerhalb des Rathauses nachvollziehbar bleiben? Diese Fragen haben mich seitdem begleitet und sie sind nicht theoretisch, sondern ganz praktisch relevant für die tägliche Arbeit.
Kurze Zeit später folgte die zweite Ratssitzung. In dieser Sitzung ging es um die Verteilung von Ausschusssitzen, Gremienplätzen und Aufsichtsratsmandaten städtischer Unternehmen. Dieser Moment war für mich ein wichtiger, weil er mir sehr klar vor Augen geführt hat, wie stark politische Arbeit von strukturellen Machtlogiken geprägt ist. Die Art und Weise, wie Posten verteilt wurden, fühlte sich für mich nicht nach einer kompetenzbasierten Entscheidung an, sondern nach einem gegenseitigen Zuteilen von Einfluss. Das hatte für mich einen unangenehmen Beigeschmack, weil ich aus einem Arbeitskontext komme, in dem Verantwortung in der Regel an fachliche Eignung und Erfahrung gekoppelt ist.
In diesem Zusammenhang wurde mir auch bewusst, wie eingeschränkt die Mitwirkungsmöglichkeiten kleinerer Parteien tatsächlich sind. Dass kleinere Parteien von Bürgerinnen und Bürgern gewählt wurden, bedeutet nicht automatisch, dass sie im politischen Alltag gleichberechtigt eingebunden werden. Die großen Parteien sichern ihre Handlungsspielräume sehr konsequent ab. Das ist kein persönlicher Vorwurf, sondern eine strukturelle Realität, die man kennen muss, wenn man in diesem System arbeiten will.
Verantwortung übernehmen unter begrenzten Bedingungen
Für mich als Ratsfrau und als jemand, der Verantwortung für ein Team trägt, stellte sich damit sehr konkret die Frage, wie man unter diesen Bedingungen konstruktiv arbeitet. Es wäre leicht gewesen, in Frustration oder Wut zu verfallen. Beides hätte jedoch weder mir noch dem Team geholfen. Stattdessen habe ich mich bewusst dafür entschieden, die Situation anzunehmen, ohne sie schönzureden, und nach Wegen zu suchen, wie wir innerhalb der gegebenen Strukturen Wirkung entfalten können.
Das bedeutete auch, andere Formen der Motivation zu finden. Wenn Handlungsspielräume begrenzt sind, braucht es Klarheit darüber, warum man trotzdem weitermacht. Für uns als Team Volt Essen hieß das, uns auf inhaltliche Arbeit zu konzentrieren, auf Sachfragen, auf konstruktive Beiträge und auf die Zusammenarbeit mit sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern. Nicht alles ist sofort sichtbar, nicht alles lässt sich schnell verändern, aber politische Arbeit besteht auch aus Beharrlichkeit und langfristiger Perspektive.
Parallel dazu habe ich viele Gespräche mit anderen Parteien geführt, um eine tragfähige Grundlage für die Zusammenarbeit im Rat zu schaffen. Diese Gespräche waren herausfordernd, weil man Menschen in kurzer Zeit einschätzen muss, ohne ihre tatsächliche Verlässlichkeit bereits erlebt zu haben. Gerade in der Politik sind schöne Worte schnell gesagt. Entscheidend ist jedoch nicht, was angekündigt wird, sondern was am Ende umgesetzt wird. In dieser Phase war für mich das Bauchgefühl ein wichtiger Orientierungspunkt. Nicht als Ersatz für Fakten, sondern als Ergänzung. Bauchgefühl ist kein irrationales Element, sondern ein Erfahrungswert, der hilft, Zwischentöne wahrzunehmen und Risiken frühzeitig zu erkennen.
Die Entscheidung, mit welcher Gruppe wir in die Ratsarbeit gehen, war deshalb nicht einfach. Sie war begleitet von Zweifeln und Fragen, die auch nach der Entscheidung nicht sofort verschwunden sind. Diese Unsicherheit gehört dazu. Sie zeigt, dass man Verantwortung ernst nimmt und Entscheidungen nicht leichtfertig trifft.
Kommunikation, wirtschaftliche Realität und der Blick nach vorn
Inzwischen ist auch die dritte Ratssitzung vorbei. Erste inhaltliche Entscheidungen wurden getroffen und eine davon hat bei vielen Essener Bürgerinnen und Bürgern deutliche Verunsicherung und Wut ausgelöst. Für mich war das ein weiterer Lernmoment, weil sehr deutlich wurde, wie entscheidend Kommunikation für politische Arbeit ist. Nicht nur die Entscheidung selbst zählt, sondern auch, wie sie erklärt wird, wie transparent sie vorbereitet wird und ob Menschen das Gefühl haben, in ihren Sorgen ernst genommen zu werden.
Für das kommende Jahr nehme ich mir deshalb sehr bewusst vor, Kommunikation stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Als jemand, der gerne umsetzt und handelt, fällt mir das nicht immer leicht. Es braucht eine klare Abwägung zwischen Diskussion, Erklärung und Umsetzung. Diese Balance ist ein Lernprozess, den ich aktiv gestalten möchte, weil er entscheidend dafür ist, ob politische Arbeit Vertrauen schafft oder Distanz.
Hinzu kommt eine Realität, die oft wenig thematisiert wird: Für Menschen aus der freien Wirtschaft ist Ratsarbeit wirtschaftlich eine echte Herausforderung. Viele Ratsmitglieder arbeiten im öffentlichen Dienst und können für ihre politische Tätigkeit freigestellt werden. Für Selbstständige oder Menschen aus der freien Wirtschaft gilt das in der Regel nicht. Die Arbeit wird nicht automatisch übernommen, Ausfälle müssen kompensiert werden. Für mich bedeutet Ratsarbeit aktuell zusätzliche Arbeit, organisatorisch, zeitlich und wirtschaftlich. Ich habe diese Entscheidung bewusst getroffen und ich stehe dazu. Gleichzeitig halte ich es für wichtig, diese strukturelle Ungleichheit offen zu benennen.
Trotz aller Herausforderungen blicke ich mit Zuversicht auf das kommende Jahr. Ich habe viele Projekte geplant, gemeinsam mit meinem Stiftungsverein vilaron, im Bereich Frauenförderung und Gleichstellung mit dem BPW eClub und in Verbindung mit weiteren gesellschaftlichen Engagements. Ich sehe viele Schnittstellen, die sich sinnvoll verbinden lassen, und genau darin liegt für mich großes Potenzial. Veränderung entsteht nicht durch einzelne Maßnahmen, sondern durch konsequentes Dranbleiben, durch Training und durch die Bereitschaft, neue Routinen zu entwickeln.
Auch meine Bücher werden im kommenden Jahr eine wichtige Rolle spielen, weil sie für mich ein zentrales Instrument sind, um Wissen zu vermitteln und Menschen zu ermutigen, Veränderungen in ihrem Alltag zuzulassen. Gewohnheiten verändern sich nicht von heute auf morgen. Sie brauchen Struktur, Wiederholung und Geduld. Genau das gilt auch für politische Arbeit und für persönliche Entwicklung.
Zum Abschluss dieses Jahres möchte ich mich bei allen bedanken, die mich begleitet haben, durch Gespräche, durch kritische Rückfragen, durch Unterstützung und ehrliches Interesse. Ich wünsche dir und euch ruhige Weihnachtstage, Zeit zum Durchatmen und einen guten Start ins Jahr 2026. Ich freue mich darauf, bekannte Gesichter wiederzutreffen, neue Menschen kennenzulernen und gemeinsam an einer Stadt und einer Gesellschaft zu arbeiten, in der unsere Zeit sinnvoll und verantwortungsvoll genutzt wird.
Danke 2025 für alles.






Kommentare